Digitales Forum "Toleranz macht Schule"
4. September 2020
Antisemitisches und rassistisches Denken und Handeln sind immer noch allgegenwärtig – leider auch in den Schulen. Es ist wichtig, einen toleranten und wertschätzenden Umgang in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. Mit dem Forum "Toleranz macht Schule" bot das ZfL fachliche Unterstützung und den Anstoß zum wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Austausch darüber. Im Jahr 2020 haben wir uns dem Schwerpunkt Antisemitismus gewidmet und stellten in den Vordergrund, wie man antisemitischem Denken und Handeln in der Schule begegnen kann. Wie kann man digital gegen Antisemitismus vorgehen? Welche Perspektiven von Vielfalt lassen sich an Schule einnehmen?
Die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit unterstützte das digitale Forum.
Keynote
Marina Chernivsky
Leitung Kompetenzzentrum Prävention und Empowerment, Geschäftsführung OFEK e.V.
Antisemitismus in Schule und Gesellschaft - Befunde und Handlungsempfehlungen auf Basis der Studie "Antisemitismus an der Schule"*
Antisemitische Einstellungen sind weit verbreitet und stellen auch in Schule ein Problem dar. Es ist ein Phänomen, das erst seit einiger Zeit mediale und politische Aufmerksamkeit bekommt, obwohl es seitens der Betroffenen seit Jahren beanstandet wird. Jahrelang wurde Antisemitismus fast ausschließlich im Kontext der Geschichtsvermittlung behandelt. Die Häufigkeit und Intensität antisemitischer Vorfälle erfordern es, genauer hinzuschauen: Wie tritt der Antisemitismus heute in Erscheinung? Welche Strukturmerkmale kommen an Schulen vor? Wie erleben jüdische Kinder und Familien die Vorfälle an ihren Schulen? Wie können Fach- und Führungskräfte darin unterstützt werden, wirksam und handlungssicher zu intervenieren?
*(Chernivsky, Marina & Lorenz, Frederike; 2020)
Zur Speakerin:
Marina Chernivsky studierte Psychologie, Verhaltenswissenschaften und Verhaltenstherapie in Israel und Berlin. Sie arbeitet seit vielen Jahren im Bereich der Antidiskriminierung und Antisemitismusprävention, ist Lehrbeauftragte und Bildungstrainerin. Sie ist Gründerin und Leiterin des Kompetenzzentrums für Prävention und Empowerment der ZWST sowie Mitbegründerin und Geschäftsführerin von OFEK e.V. Sie war Mitglied im Zweiten Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus des Deutschen Bundestages (2015-2017) und ist seit 2019 Mitglied im Beratungsgremium des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, im Expertenkreis zur Bekämpfung des Antisemitismus des Freistaates Sachsen und im Expertengremium Antisemitismus von LADS Berlin. Außerdem ist sie Mitherausgeberin der Zeitschrift "JALTA – Positionen zur jüdischen Gegenwart" und Vorstandsmitglied von AMCHA e.V. sowie DTPPP e.V.
Workshops
Antisemitismus in der Schule
Katja Hauser, Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit
In den letzten Jahren haben Medien vermehrt von antisemitischen Vorfällen an deutschen Schulen berichtet. Auch gesamtgesellschaftlich erfährt das Thema spätestens seit dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle zunehmende Öffentlichkeit. Damit verbunden ist die Forderung nach einer umfassenden Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus.
Der Online-Workshop befasst sich anhand von Berichten jüdischer Schüler*innen mit den Perspektiven von Betroffenen auf Antisemitismus. Dabei werden zunächst die Merkmale und Formen von aktuellem Antisemitismus herausgearbeitet. Im Anschluss können Ansätze zur Prävention und zum Umgang mit Antisemitismus im Schulalltag diskutiert werden.
Zur Referentin:
Katja Hauser ist Mitarbeiterin im Projekt "Jederzeit wieder! Gemeinsam gegen Antisemitismus!". Im Rahmen des Projektes konzipiert sie Fortbildungen und Workshops zum Thema Antisemitismus und führt diese durch.
Die Gründung Israels – fehlende Kenntnisse und Vorurteile im Klassenzimmer
Dr. Martin Jander
Der Workshop behandelt die Gründung Israels im Jahr 1948 und den nach der Staatsgründung beginnenden Krieg der arabischen Nachbarn gegen den jüdischen Staat. Darüber hinaus werden auch die deutschen Reaktionen auf die Staatsgründung thematisiert. In der DDR wurde seit den 50er Jahren Verantwortung und Haftung für die deutschen Verbrechen 1933-45 als überflüssig betrachtet. Die Bundesrepublik begann sich Schritt für Schritt Verantwortung und Haftung zu stellen. Verantwortung und Haftung schlossen die Unterstützung Israels ein. Die verweigerte Übernahme von Verantwortung und Haftung spiegelt sich heute noch in den Beurteilungen vieler Schüler*innen in deutschen Klassenzimmern. Häufig wissen sie wenig, wenn überhaupt etwas über die Ereignisse. Nicht selten finden wir in ihren Äußerungen jenen "Schuldabwehrantisemitismus", den bereits in den 50er Jahren die Forscher Adorno und Horkheimer in ihrem "Gruppenexperiment" konstatierten.
Zum Referent:
Dr. Martin Jander ist Lecturer in diversen Programmen amerikanischer Universitäten in Berlin (z. B. New York University, Stanford University). Er publiziert regelmäßig zu seinen Forschungsschwerpunkten DDR und Internationaler Terrorismus. Jander bietet Stadtführungen in Berlin und Potsdam (www.unwrapping-history.de) an, arbeitet als Teamer in der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung und veröffentlicht Materialien für den Geschichtsunterricht.
Digital gegen Antisemitismus
Laura Franke und Silke Bettina Kargl, "school is open 4.0"
Die steigenden Fallzahlen antisemitischer Diskriminierung und Gewalt, auch an Schulen, stellen Fachkräfte vor die Herausforderung, kompetent auf diese Entwicklungen zu reagieren. Lehrkräfte navigieren bisher unzureichend vorbereitet komplexe und herausfordernde Situationen in ihrer pädagogischen Praxis: In einer postmodernen Gesellschaft muss der erinnerungskulturelle Imperativ "Nie wieder Auschwitz" um Kompetenzen zu Antisemitismus und zu konkreten Handlungsmöglichkeiten erweitert werden. Mit dem Projekt "Digital gegen Antisemitismus" ermöglicht »school is open« 4.0 Lehramtsstudierenden Kompetenzen zu diesen Herausforderungen zu stärken. Dabei wurden zukunftsorientierte Überlegungen, der gelingende Umgang mit Digitalisierung und ihre transformativen Potenziale für Lernen im 21. Jahrhundert einbezogen, um gemeinsam mit Lehramtsstudierenden digitale Lernmaterialien zur Arbeit gegen jeden Antisemitismus zu entwickeln.
Im Workshop lernen Sie diese digitalen Lernmaterialien zur Arbeit gegen Antisemitismus kennen. »school is open« 4.0 gibt Ihnen einen kurzen Einblick in das Projekt "Digital gegen Antisemitismus" und die Relevanz des Themas. Vor allem haben Sie die Gelegenheit, die Lernmaterialien selbst zu erproben und Einsatzmöglichkeiten im Unterricht zu besprechen.
Zu den Referentinnen:
Laura Franke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei »school is open« 4.0 und leitet dort die Erinnerungskulturelle Lernwerkstatt. Silke Bettina Kargl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei »school is open« 4.0 und ist dort Projektsprecherin. »school is open« 4.0 engagiert sich mit unterschiedlichen Formaten in den bildungswissenschaftlichen Anteilen der Lehramtsausbildung an der Universität zu Köln.
Citizenship Education – Chancen und Herausforderungen digitaler Qualifizierungsangebote
Sigrid Meinhold-Henschel, Senior Project Manager, Bertelsmann Stiftung
Demokratiebildung ist ein zentrales Thema für Schulen und Lehrkräfte. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2018 zeigt, dass sich sehr viele Pädagog*innen im Studium, Referendariat und auch in der Weiterbildung nicht hinreichend auf diese Aufgabe vorbereiten können. Um dies zu ändern, bedarf es mehr und bessere Möglichkeiten der Qualifizierung. Können dabei auch digitale Vermittlungsformate unterstützen? Mit dem Wokrshop "Citizenship Education – Demokratiebildung in Schulen" wurde dieser Weg erprobt. Im Rahmen des digitalen Workshops werden Inhalte, Formate und Nutzungsmöglichkeiten sowie bisherige Erfahrungen zur Diskussion gestellt. Wer schon vorher einmal in den Kurs hineinschnuppern möchte, kann sich hier anmelden.
Zur Referentin:
Sigrid Meinhold-Henschel ist Senior Project Manager bei der Bertelsmann Stiftung und aktuell verantwortlich für die Initiative "jungbewegt – Dein Einsatz zählt.". Die Historikerin hat im Nebenfach Pädagogik mit dem Schwerpunkt Entwicklungspsychologie studiert. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit als diplomierte Verwaltungswirtin und einem sozialwissenschaftlichen Aufbaustudium an der Universität Bern arbeitet sie in der Bertelsmann Stiftung zu den Themen Zivilgesellschaft, Kinder- und Jugendpartizipation und Demokratiebildung.
Perspektiven der Vielfalt – Antirassistische Bildungsarbeit
Manon Diederich, Sonja Esters
Rassismus durchzieht alle Bereiche der Gesellschaft. Vor allem in der Bildungsarbeit ist es wichtig, die verschiedenen Ebenen dieses Phänomens zu verstehen und kritisch zu reflektieren. Was ist überhaupt Rassismus? Welche Formen des Rassismus gibt es und wie können wir diesen entgegenwirken? Diesen und weiteren Fragen widmet sich dieser Online-Workshop. Dabei wird der Blick sowohl auf die strukturelle Verankerung von Rassismus als auch auf die Stärkung antirassistischer Handlungskompetenzen gerichtet.
Zu den Referentinnen:
Sonja Esters hat an der Universität zu Köln Ethnologie, Pädagogik und Völkerrecht studiert und hat später als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie gearbeitet. Seit einigen Jahren gibt sie Lehrveranstaltungen an verschiedenen Universitäten. Der Fokus ihrer Seminare liegt auf sozialer Ungleichheits- und Rassismusforschung sowie postkolonialen Perspektiven. Manon Diederich hat im Hauptfach Geographie und in den Nebenfächern Ethnologie und Afrikanistik an der Universität zu Köln studiert. Im Anschluss daran hat sie zu den Bereichen Migration und Gender im Globalen Süden geforscht. Parallel dazu hat sie als Lehrende an mehreren Instituten unterrichtet und arbeitet seit 2017 als Trainerin für interkulturelle Kompetenz für den Verein ESE e.V. in Münster.
Miteinander statt übereinander reden – ein interreligiöser und interkultureller Dialog
Alexandra Sborowski, Lehramtsstudentin Gymasium/Gesamtschule
In einem persönlichen Einblick soll das heutige junge jüdische Leben vorgestellt und dabei auch einen Überblick über die Verschiedenheit und facettenreiche Vielfalt der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland gegeben werden. Gerade in der Schule finden viele interkulturelle und interreligiöse Auseinandersetzungen statt. Es gilt zu erarbeiten und zu diskutieren, wie ein toleranter Umgang und Dialog in der Schule gelebt werden kann. Welchen Zielen und Herausforderungen stellt sich die Institution Schule und jede*r Einzelne von uns, um zur Förderung von Toleranz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe beizutragen?
Zur Referentin:
Alexandra Sborowski ist angehende Lehrerin für Deutsch und Pädagogik an Gymnasien und Gesamtschulen mit dem Schwerpunkten Mehrsprachigkeit, Migrationsforschung und Inklusion. Seit vielen Jahren engagiert sie sich gesellschaftspolitisch in der Jugend- und Studierendenarbeit und trägt im Rahmen der Hans-Böckler-Stiftung, der Jüdischen Hochschulgruppe Köln, dem NS Dokumentationszentrum (Fachstelle [m²] miteinander mittendrin) und weiteren Institutionen zum interkulturellen und interreligiösen Austausch bei.
Abschlusstalk
Marina Chernivsky, Myrle Dziak-Mahler, Dr. Martin Jander und Alexandra Sborowski
Rückblick und Ausblick
Zum Abschluss des diesjährigen Forums "Toleranz macht Schule" gehen wir mit Marina Chernivsky, Myrle Dziak-Mahler, Dr. Martin Jander und Alexandra Sborowski ins Gespräch und werfen einen multiperspektivischen Blick auf die Thematik: Wie kann Toleranz im schulischen Alltag gefördert werden? Welche Erkenntnisse können wir für die Arbeit in Wissenschaft, Schule und Studium mitnehmen? Welche Maßnahmen und Schritte sind notwendig, um Antisemitismus entschieden und erfolgreich entgegenzutreten? Wie können wir mit den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Herausforderungen antisemitischer Äußerungen umgehen?
Neben diesen Fragen laden wir die TeilnehmerInnen des Forums herzlich ein virtuell im Chat mitzudiskutieren und ihre Fragen einzubringen.